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Ein kleiner Staat überrascht: Estland ist Europameister in Digitalisierung

Die Weltmeisterschaft in Russland steht vor der Tür. Am 14. Juni rollt der Ball wieder und Millionen von Menschen sitzen vor den Fernsehgeräten. Island überraschte im Sommer 2016 die Zuschauer der EM und hat sich 2018 erstmalig für eine Fußballweltmeisterschaft qualifiziert. Estland kann im Fußball leider keine großen Erfolge verzeichnen, ist jedoch trotzdem Europameister – in der Digitalisierung.

Genau wie Island im Fußball, wird der kleine baltische Staat Estland oft unterschätzt. Dabei ist das gerade einmal 1,3 Millionen Einwohner zählende Land Vorreiter in Sachen Digitalisierung und läuft hier großen Staaten wie Deutschland den Rang ab. 

Von 0 auf 100: Den Neustart nutzen

Bevor wir dazu kommen, was Digitalisierung in Estland bedeutet, möchte ich kurz die Frage klären: Warum Estland? Wie schafft es dieser Staat sich so vorbildlich digital zu organisieren? Estland erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von der UdSSR und führte die Marktwirtschaft wieder ein. 1997 startete die estnische Regierung mit Sitz in Tallinn dann ein Programm, das allen Bürgern Zugang zum Internet verschaffen sollte. Das Land wollte sich von Grund auf modernisieren. In Estland wird angepackt statt lange überlegt – das baltische Land ist offen für neue Techniken und probiert diese gerne aus. Keine Angst zu haben vor der Digitalisierung, macht Estland zum Vorreiter in Europa. 

Digitalisierung von der Schule bis zur Unternehmensgründung

Heute beträgt die WLAN-Abdeckung im öffentlichen Raum 99 Prozent. Das Internet kann immer und überall genutzt werden. Bereits im Grundschulalter lernen die estnischen Kinder spielend das Programmieren, klassische Lerninhalte werden mit digitalen Anwendungen verknüpft. 

Die Digitalisierung vereinfacht auch die Bürokratie – die Esten besitzen eine E-Identität. Jeder Bürger hat eine ID-Karte, mit der er/sie alle Behördengänge online erledigt. Ein Kartenleser wird an den PC oder das Notebook angeschlossen, die ID-Karte eingelesen. Nach Einloggen über die E-Signatur kann so online der Führerschein verlängert werden oder die Steuererklärung eingereicht werden. Die Esten erhalten dort auch Ihre Arztrezepte und schließen online Verträge untereinander ab. Zum Wählen müssen die Esten ihr Haus ebenfalls nicht verlassen – über die elektronische DNA lässt sich dies am heimischen Laptop durchführen. Sogar die Gründung eines Unternehmens dauert im Internet gerade einmal eine halbe Stunde. 

Digitaler Bürger werden: E-Residency

Seit 2015 kann jeder Mensch die digitale Welt von Estland betreten. Es ist jedem möglich, sich für einen digitalen Wohnsitz in Estland zu bewerben und somit ein digitaler Este zu werden, auch ganz ohne estnische Staatsbürgerschaft oder Wurzeln. Als Digital-Bürger profitiert man von allen virtuellen Service-Leistungen, die das kleine Land der EU zu bieten hat. Beispielsweise: Eine Firma gründen und diese von unterwegs verwalten. Die Steigerung der Unternehmensgründungen war ein Grund für die Einführung der E-Residency. Das ist gelungen: Seit Einführung haben sich bereits 33.400 Menschen aus 154 Ländern als E-Esten beworben, 5.000 Unternehmen wurden gegründet*. Die E-Residency ist jedoch keine vollwertige Staatsbürgerschaft, denn wählen, wie die reale estnische Bevölkerung, darf man nicht. 

Auch die Währung soll digital werden – Der Estcoin wird ins Leben gerufen

Estland springt auf den Trend der Kryptowährungen auf und möchte scheinbar den Estcoin als neue Landeswährung einführen. Der Direktor der estnischen E-Residency spekulierte darüber öffentlich im Netz. Die Europäische Zentralbank ist davon jedoch nicht besonders begeistert und schiebt Estland den Riegel vor. Als Mitglied der Eurozone darf das Land keine eigene neue Währung einführen. Nach langen Diskussionen zwischen EZB und den estnischen Zuständigen, ist noch nicht final geklärt, ob und in welcher Form der Estcoin nicht vielleicht doch eingeführt werden kann. Die Entscheidung wird im Laufe des Jahres erwatet. 

„Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter“

Natürlich darf man auch die Risiken, die eine solche digitale Gesellschaft mit sich bringt nicht außer Acht lassen. 2007 kam es in Estland zu einem großen Hackerangriff, der Banken, Behörden und die Polizei lahmlegte. Genauso schnell, wie die Prozesse sonst durch die Digitalisierung ablaufen, können sie in einem solchen Moment eben auch lahmgelegt werden. Auch der Chip des elektronischen Personalausweises soll eine Schwäche besessen haben, die aber vor einem eventuellen Datenklau erkannt wurde. 

Die Esten lassen sich trotz allem aber nicht abschrecken. Getreu dem Motto „Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter“, schauen sie positiv in die Zukunft und treiben die Digitalisierung voran. Viele Länder in der EU könnten sich davon wohl eine Scheibe abschneiden. 

* Quelle: Republic of Estonia, e-resident.gov.ee, Stand 13.04.18

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