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Design Thinking ist immer auch Design Doing

Design Thinking: Trend oder Hype? Im Interview spricht Benjamin Rehner (zertifizierter Design Thinking Professional) darüber, wie ein kreativer Design Thinking Prozess gelingt, was man in das Doing reinkommt und wie das Ganze in der Praxis ablaufen kann.
Eindrücke aus einem Design Thinking Workshop

Fabienne Meininger (FM): Design Thinking ist derzeit in aller Munde. Du bist zertifizierter Design Thinking Professional von der HPI School of Design Thinking. Was ist Design Thinking für Dich?

Benjamin Rehner (BR): Viele verbinden damit vor allem eines: Legoklötze, Whiteboards, colorierte Karten, Pen-and-paper-Prototypen und hunderte Post-Its. Und in der Tat sind das wichtige Hilfsmittel im Prozess. Für mich ist Design Thinking Methode, Umfeld und Mindset zugleich. Der Fokus liegt auf dem Doing – Design Thinking ist kein One-Hit-Wonder. Vielmehr ist es Startpunkt für kreativ-systematisches Tun, in der Regel in einem Workshop. Es ist die Kontinuität des Neuen im Alltag – eine gelebte Praxis, um verborgene Anforderungen und komplexe Problemstellungen zu erkennen und Lösungen dafür zu finden. Das alles ist und kann Design Thinking.

FM: Warum ist Design Thinking für dich zukunftsweisend?


BR:
Situationen, in denen ein Mindset des systematischen Ausprobierens gefragt ist, nehmen zu. Die Welt wird volatiler, unplanbarer, komplexer und vieldeutiger – im Englischen auch bekannt als VUCA: volatile, uncertain, complex, ambiguous. Die Antwort darauf lautet „KI“. Im Zusammenhang mit Design Thinking steht dieses Akronym mit einem Augenzwinkern hier für „kollektive Intelligenz“. Wenn wir nicht länger ein klar definiertes „Was“ als Ziel identifizieren können, wird das „Wer“ und „Wie“ immer wichtiger, um als Organisation innovativ, produktiv und handlungsfähig zu bleiben. Design Thinking hilft dabei, die VUCA-Welle zu reiten, statt von ihr überrollt zu werden.

Design Thinking macht Unternehmen agiler.
Helge Sanden, Chefredakteur des IT-Onlinemagazins und SAP-Insider

FM: Kann das Konzept Design Thinking auf alle Fragestellungen und Probleme angewendet werden?

BR: Theoretisch ja. Wie alles hat auch Design Thinking eine Schokoladenseite. Und das sind komplexe bis chaotische Situation-Ziel-Kombinationen. Liegen Lösungswege oder Ziele in einem dichten wabernden Nebel oder ist das Ziel ein „moving target“? Wenn ich mich mit solchen unklaren, nicht voll definierten und erprobten Ausgangs- und Zielsituationen konfrontiert sehe, die Kundenbedürfnisse unbekannt sind, der Weg von A nach B nicht linear überschaubar ist oder keine Best Practices existieren, dann ist Design Thinking das Vorgehen der Wahl.

Durch die Einbeziehung diverser Stakeholder – sei es alters-, rollen-, standort- und hierarchieübergreifend – und deren unterschiedliche Blickwinkel, erarbeitet das Team tragfähige, übergreifende Lösungen. Mit Design Thinking gelingt es, den berühmt berüchtigten Pudding an die Wand zu nageln. So entstehen aus Ideen Innovationen, die Mehrwert liefern.

FM: Kannst du uns ein Beispiel aus der Praxis nennen?

BR:  Das war bei unserem neuesten SaaS-Produkt auf Basis der SAP Cloud Platform anfangs so, der Marktplatzanbindung zur Prozessintegration von Online-Marktplätzen an SAP-Systeme. Damit bieten wir Händlern wie Produzenten die Chance, Marktplätze als weiteren Sales Channel effizient wie nie zuvor zur Bekanntheits- und Umsatzsteigerung zu nutzen. Im Design Thinking Prozess haben wir gemeinsam die Nutzerbedürfnisse und den Anwendungskontext weit über technische Anforderungen hinauserkundet: Wie sieht eine Lösung aus, die die Unternehmensstrategie der Kunden unterstützt? Wie fühlen sich Mitarbeiter für E-Commerce bei ihren Aufgaben aktuell? Welche Zukunftstrends zeichnen sich ab und welche Ansprüche, Pain Points und Bedürfnisse haben zukünftige Anwender?

FM: Du hast gesagt, ein Workshop ist „nur“ der Startpunkt für Design Thinking. Wie läuft ein Workshop in der Praxis ab?

BR: Im Workshop werden meist alle sechs Phasen des Design Thinking Prozesses mindestens einmal durchlaufen: Verstehen, Beobachten, Sichtweise definieren, Ideen finden, Prototypen entwickeln und Testen.

Die Beteiligten untersuchen ein definiertes Themenfeld bzw. eine Fragestellung aus Nutzersicht, um mögliche Lösungsansätze zu erarbeiten. Der Erfolg des Workshops wird durch eine offene Arbeits- und Denkkultur bestimmt. Sie beruht auf drei wesentlichen Elementen: multidisziplinäre Teams, Freiräume – sowohl räumlich als auch gedanklich – sowie dem iterativen Design Thinking Prozess.

Die sechs Phasen eines Design Thinking Prozesses | Quelle: HPI School of Design Thinking

Wichtig ist es, am Anfang die persönliche Ausgangslage auszuloten. Was treibt den Workshop-Initiator an? Haben die Teilnehmer bereits Erfahrung mit Design Thinking oder ist ein methodisches Warm-up als Eisbrecher sinnvoll? Nicht selten bestehen anfangs Vorbehalte, spielerisch an Fragen heranzugehen. Was mich immer wieder beeindruckt, ist wie schnell diese Skepsis innerhalb der ersten Stunde der Begeisterung und Lust auf Neues weicht.

Spätestens nun wird das Thema abgesteckt und in der sogenannten Challenge formuliert. Die Challenge definiert den Fokus und kreativen Freiraum für die Lösungsansätze. Merken die Teilnehmer im Workshop, dass die Challenge nicht mehr zu den im Workshop gesammelten Erkenntnissen passt, kann diese modifiziert werden. Dazulernen und „Fehler machen“ – und zwar so früh im Prozess wie möglich – ist ausdrücklich gewünscht. Diese Art Lernen im Zeitraffer spart ein X-faches an Arbeit in der Realisierungsphase.

FM: Was ist nötig, um den kreativen Prozess zu meistern?

BR: Es braucht nicht viel:

  1. Eine klar definierte Challenge 
  2. Neugier und Offenheit, Dinge anzupacken und dabei lernen zu wollen 
  3. Zwei bis drei bunt gemischte Teams mit je vier bis sechs Personen – idealerweise setzt sich jedes Team aus Menschen mit unterschiedlichem Alter, Fachwissen etc. zusammen 
  4. Einen flexiblen Raum mit ausreichend Platz – ganz ohne Technik-Schnickschnack, am besten größere Stehtische und keine klassischen Bürotische und -stühle 
  5. Post-Its en masse, Stifte, Timer, Whiteboards, Metaplanwände, Papier – gerne auch Legosteine 
  6. Einen erfahrenen Coach, der die Teams begleitet und effektive Impulse setzt, damit die Teilnehmer in den Flow kommen 
  7. Zu guter Letzt: Um vom Thinking auch ins Design Doing zu kommen, ist die Einbindung aller Beteiligten und Anwender bei der Ideenumsetzung essentiell

FM: Der Erfolg von Design Thinking steht und fällt also mit dem Menschen. Aber warum sind gerade variable Räume wichtig? Und was haben Legosteine mit Design Thinking zu tun?

BR: Freies Denken braucht freie Bahn – keine Fronten. Der klassische Besprechungsraum, der auf eine frontale Beschallung in Form einer One-Man-Show ausgelegt ist, limitiert das Denken und triggert dieselben im Alltag gelebten Muster. Im Design Thinking ist Flexibilität Trumpf. Deswegen passt sich der Raum den Menschen an. Indem der Raum vom gewohnten Arbeitsplatz abweicht, schafft er mental Raum für Ideen fernab gewohnter Denkmuster. Die Umgebung wird zum Experimentierraum.

Legosteine sind eine ideale Form zum Experimentieren, Visualisieren und Diskutieren. Die Teilnehmer werden zu Architekten ihrer Gedanken, die Legosteine geben den Gedanken eine Gestalt. Neben Legosteinen zum Prototyping gibt es noch Dutzende anderer Möglichkeiten: von Landkartenzeichnen bis hin zum kleinen Theaterstück – das hängt immer auch von den Menschen und der Situation ab.

FM: Zu guter Letzt: Hast du einen Ratschlag, um erfolgreich ins Design Doing zu kommen?

BR:  Egal, welche Stolpersteine den Weg scheinbar blockieren: Vertraue dem Prozess. Vertraue deinem Team. Vertraue dir selbst. Habe Mut zur Veränderung! 

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