Die Digitalisierung ist gerade für traditionelle Branchen wie den Baustoffhandel ein weites, unübersichtliches Feld mit unzähligen, neuartigen Anwendungsfällen.
Die zahlreichen Möglichkeiten können schnell überfordern und es stellt sich die Frage: Welche Prozesse im Baustoffhandel haben die größten Optimierungspotenziale und sollten daher bei der Digitalisierung mit Priorität angegangen werden?
3 Ansatzpunkte für die Digitalisierung im Baustoffhandel
Betrachten wir den Bausektor im Allgemeinen und den Baustoffhandel im Speziellen, kristallisieren sich drei Bereiche heraus, die von einer Digitalisierung besonders profitieren:
- Die Baustoffbranche im Allgemeinen ist stark projektgetrieben. Darum sollte zunächst die Projektverwaltung vereinfacht und Transparenz über Termine, Aufgaben und Anforderungen geschaffen werden.
- Weiterhin wird im Baustoffhandel ein wesentlicher Teil des Umsatzes über Ausschreibungen für Großprojekte erwirtschaftet. Doch die Zusammenstellung von Angeboten und die Arbeit mit Leistungsverzeichnissen erfolgt in vielen Handelsfirmen manuell und nimmt viel Zeit in Anspruch. Durch eine beschleunigte Angebotserstellung könnten Baustoffunternehmen an mehr Ausschreibungen teilnehmen und würden infolgedessen höhere Umsätze erzielen.
- Ebenso kommt den Bereichen Beschaffung und Logistik eine wichtige Rolle zu. Damit Baustoffhändler ihre Kunden termingerecht mit der richtigen Ware beliefern, muss die Nachschubkette zu den Baustoffproduzenten stets gewissenhaft gesteuert werden. Daher sind Maßnahmen, die die Nachschublogistik vereinfachen und Logistikkosten senken, ebenfalls mit Priorität umzusetzen.
Glücklicherweise gibt es für jeden der genannten Bereiche bewährte IT-Lösungen, um die betroffenen Prozesse signifikant zu verbessern. Die Software-Lösungen setzen auf dem SAP ERP-System auf und sollten speziell für den Technischen Großhandel optimiert sein. Im Folgenden werden diese näher beschrieben.
1. Strukturierte Objekt- und Projektverwaltung in SAP
Wer als Baustoffzulieferer komplexe Bauprojekte wie Krankenhäuser oder Schulen betreut, muss zwingend den Überblick über die vielschichtige Objekt- und Projektstruktur behalten. Je komplexer das Projekt und je mehr Dienstleister involviert sind, umso größer die Herausforderung, transparent zu sein.
Mit passenden Software-Lösungen verwalten Baustoffhändler ihre Projekte auf strukturierte Weise, direkt in SAP S/4HANA. Sämtliche Gewerke und Objektteile werden mit einer entsprechenden Lösung in der üblichen Baumstruktur im Projektmanagement abgebildet.
Dabei können zu jedem Gewerk die zugehörigen Belege und Dokumente (zum Beispiel Angebote, Bestellungen, Zeichnungen oder Gesprächsprotokolle) hinterlegt werden. Alle Beteiligten im Unternehmen haben dadurch eine einheitliche Sicht auf das Bauvorhaben – inklusive aller Termine, Lieferungen und Statusinformationen.
Mit einer intuitiven Benutzeroberfläche können alle wichtigen Informationen und Kennzahlen mit wenigen Klicks abgerufen werden. Die Zeitersparnis macht sich unmittelbar für die Nutzer bemerkbar, die sich nun besser auf ihre eigentliche Arbeit und auf die Kommunikation mit Kunden und anderen Geschäftspartnern konzentrieren können.
Und weil bereits in der Vorverkaufsphase ein großer Arbeitsaufwand anfällt und projektbezogene Belege erzeugt werden, ist es sinnvoll, dass Baustoffhändler in der Angebotsphase ihre potenziellen Projekte erfassen können, Dokumente verknüpfen und wichtige Daten wie Preiskonditionen oder Kontaktdaten von Projektpartnern hinterlegen.
Erhält das Baustoffunternehmen den Zuschlag, ist das Projekt bereits im System erfasst und die Mitarbeitenden können sich direkt mit den Detailfragen zur Belieferung befassen. In der Praxis unterstützen IT-Lösungen bei der strukturierten Objektverwaltung in SAP.
2. Automatisierte Arbeit mit Leistungsverzeichnissen dank GAEB-Schnittstelle
Die Teilnahme an Ausschreibungen gehört im Baustoffhandel zum Tagesgeschäft. Die Durchführung dieser Ausschreibungen erfolgt dabei über Leistungsverzeichnisse, in denen konkrete Material- und Arbeitsanforderungen von den Planern definiert werden. Bei vielen Baustoffunternehmen wird die Arbeit mit Leistungsverzeichnissen immer noch manuell durchgeführt – durch einen mühsamen Abgleich der Materialanforderungen mit den Produkten aus dem eigenen Artikelsortiment.
Insbesondere für die Arbeit mit Leistungsverzeichnissen gibt es nützliche elektronische Lösungen, die die Unterbreitung von Angeboten drastisch vereinfachen, den manuellen Arbeitsaufwand auf ein Minimum senken und insgesamt die Bearbeitung der Ausschreibung wesentlich verkürzen.
Digitale Lösungen zur Arbeit mit Leistungsverzeichnissen nutzen dafür den in der Baubranche gängigen Datenformat-Standard GAEB zum Datenaustausch. Leistungsverzeichnisse werden dazu einfach und mit sämtlichen Einzelpositionen ins SAP ERP-System importiert. Im SAP-System hat das Baustoffunternehmen seine kompletten Artikeldaten hinterlegt.
Darauf basierend schlägt die IT-Lösung dem Sachbearbeiter automatisch geeignete Materialien aus dem eigenen Sortiment vor – unter Berücksichtigung der Beschreibungstexte und Materialklassifizierungen. So stellt der Sachbearbeiter mit wenigen Klicks ein passendes Angebot zusammen.
Eine Aufgabe, die sonst etliche Arbeitsstunden in Anspruch nimmt, ist innerhalb weniger Minuten erledigt. Für Baustoffhändler bietet die effizientere Ausschreibungsteilnahme einen wesentlichen Vorteil: Sie können an einer größeren Zahl von Ausschreibungen teilnehmen und somit ihren Umsatz steigern.
Auch das umgekehrte Szenario, bei dem Baustofflieferanten selbst Bauprojekte leiten und Angebote von Lieferanten oder Handwerkern einholen, kann mit digitalen Lösungen wesentlich vereinfacht werden. Hierzu legt das Unternehmen zunächst im SAP-System die entsprechende Objekt- beziehungsweise Projektstruktur mit sämtlichen Gewerken und Einzelpositionen an (siehe hierzu den vorigen Abschnitt).
Daraufhin werden von Lieferanten und Handwerkern Angebote eingeholt, welche dann im GAEB-Format in das eigene ERP-System importiert und über ein automatisches Matching den richtigen Teilpositionen zugeordnet werden. Somit wird die Kommunikation mit den Geschäftspartnern wesentlich vereinfacht und beschleunigt.
Eine solche elektronische GAEB-Schnittstelle für SAP ermöglicht Baustoff-Großhändlern auch die Teilnahme an Projekten, die auf der Grundlage von Building Information Modeling (BIM) geplant und realisiert werden. Hierbei werden Bauvorhaben vollständig und unter Einbeziehung sämtlicher Planungs- und Bauprozesse bis hin zum Gebäudemanagement virtuell in 3D modelliert.
Für die am Projekt beteiligten Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre internen Prozesse elektronisch an das zentrale BIM-Modell anbinden müssen, um etwa Bauwerks- und Termindaten zu empfangen sowie Angebotsdaten an die Projektpartner zu übermitteln.
3. Bestellwesen vereinfachen mit Vendor Managed Inventory (VMI)
Der Baustoffhandel benötigt des Weiteren ein zuverlässiges und effizientes Bestellwesen für den Nachschub, damit die Ware immer rechtzeitig auf der Baustelle eintrifft. Gleichzeitig sollten jedoch nicht übermäßig hohe interne Lagerbestände aufgebaut werden. Denn dies bindet wertvolles Kapital und birgt die Gefahr, dass Großhändler auf einem Teil der Ware sitzen bleiben – etwa aufgrund von Obsoleszenz. Wie kann daher der Spagat zwischen Lieferfähigkeit und Kostendruck gemeistert werden?
Eine Antwort bietet das Verfahren des lieferantengesteuerten Bestands, auf Englisch Vendor Managed Inventory (VMI). Hierbei übernimmt der Lieferant die Verwaltung der eigenen Lagerbestände. In der Praxis wird der Prozess wie folgt implementiert: Der Baustoffhändler erfasst in seinem ERP-System sämtliche Kundenbestellungen und Auslieferungen.
Die eigenen Artikelbestände und Abverkaufsdaten werden daraufhin per elektronischer Schnittstelle (EDI oder WebEDI) an den Lieferanten übermittelt. Der Lieferant kann anhand dieser Daten eine Nachschubplanung für den Händler durchführen. Für die Nachbestellung muss der Großhändler nun keine Bestellungen mehr manuell auslösen, sondern der Lieferant veranlasst eigenmächtig die Belieferung.
Dieser Beschaffungsprozess hat für den Baustoffhandel zwei wesentliche Vorteile: Zum einen entfällt ein Großteil des administrativen Aufwands für die Nachbestellung. Zum anderen werden die eigenen Lagerbestände besser an die tatsächliche Nachfragesituation angepasst und unverhältnismäßig hohe Warenbestände vermieden.
Aber auch in die entgegengesetzte Richtung funktioniert das Szenario des VMI: Großhändler können als Service für die eigenen Kunden eine Bestandsmanagement-Lösung bereitstellen. Die Kunden (zum Beispiel Handwerker) verwalten ihre Artikelbestände über eine App, die mit dem ERP-System des Baustoffhändlers vernetzt ist.
Sobald gewisse Mindestbestände unterschritten werden, wird automatisch eine Nachbestellung beim Händler ausgelöst. Eine Win-Win-Situation: Der Großhändler erhöht die Kundenbindung zum Handwerker und erhält regelmäßig Aufträge. Die Kunden werden entlastet und ersparen sich den administrativen Aufwand für Nachbestellungen.
Fazit: Software-Lösungen als Grundlage für die Entwicklung innovativer Services
Wer im Baustoffhandel auch in Zukunft erfolgreich mitspielen will, kommt um die Digitalisierung der eigenen Prozesse nicht herum. Gute Ansatzpunkte sind das interne Projektmanagement digitalisieren, die elektronische Verarbeitung von GAEB-Dateien sowie die Optimierung der Beschaffungslogistik mithilfe von Vendor Managed Inventory (VMI) für SAP.
Für jeden dieser Bereiche existieren auf den Technischen Großhandel zugeschnittene Software-Lösungen. Damit straffen Baustoffhändler nicht nur ihre Prozesse und optimieren ihre Finanzen. Sie schaffen gleichzeitig die Grundlage für die weitere Digitalisierung und die Entwicklung innovativer, digitaler Services für ihre Kunden.