„Das haben wir schon immer so gemacht.“ Dieser Satz fällt in Unternehmen häufiger, als man denkt – und das aus gutem Grund.
Viele Unternehmen sind mit genau dieser Einstellung erfolgreich geworden. Sie haben Prozesse, die perfekt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind und ihnen echte Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Diese Abläufe können das Ergebnis einer cleveren Prozesstechnologie, geschickten Einkaufsstrategien, effizienten Logistikprozessen oder eines besonders starken Vertriebs sein.
Diese Stärken möchten Unternehmen beim Wechsel auf eine moderne ERP-Software nicht aufgeben. Schließlich sind sie ein zentraler Baustein ihres Erfolges.
Viele dieser Prozesse wurden in der Vergangenheit tief ins bestehende ERP-System programmiert. Heute sieht das anders aus und SAP setzt mit ihren cloudbasierten Lösungen auf den sogenannten Clean-Core-Ansatz.
Exkurs: Customizing vs. Programmierung zur Individualisierung von Standardsoftware
Ein verbreiteter Irrglaube in der ERP-Welt ist die Annahme, dass Customizing und Programmierung dasselbe sind. Viele Unternehmen sprechen davon, dass sie ihre Systeme „customizen“, meinen aber eigentlich individuelle Programmierungen. Doch es gibt einen klaren Unterschied.
Customizing bedeutet, dass im SAP-System aus verschiedenen vordefinierten Alternativen ausgewählt wird, um Prozesse anzupassen. Ein Beispiel dafür ist die Konfiguration, wie Materialien nach der Freigabe eines Produktionsauftrags bereitgestellt werden sollen – entweder automatisch oder durch einen zusätzlichen manuellen Schritt. All das ist immer noch 100 Prozent SAP-Standard.
Programmierung hingegen setzt dort an, wo das Customizing nicht ausreicht. Wenn die vordefinierten Schalter des Systems keine Lösung für spezifische Anforderungen bieten, wird eigenes Coding benötigt. SAP stellt hierfür Absprungstellen wie User Exits oder Business Add-ins (BAdIs) bereit. Diese ermöglichen es, eigene Logiken ins System zu integrieren.
Klingt praktisch, oder? Ist es auch, da man das System individuell an die eigenen Bedürfnisse anpassen kann. Jedoch kann so die Updatefähigkeit des Systems langfristig gefährdet sein.
Standard und Individualität: Besteht hier ein Widerspruch?
Aber warum überhaupt am Standard bleiben, wenn sich die alten Prozesse doch bewährt haben? Das fragen sich viele Unternehmen, die hoffen, ihre Entwicklungen bei einem Wechsel einfach mitnehmen zu können. Schließlich tragen sie maßgeblich zum Erfolg bei.
Doch hier wird oft übersehen, dass individuelle Anpassungen im System langfristig problematisch sein können. In der Vergangenheit haben Unternehmen ihre ERP-Systeme oft so stark an ihre Bedürfnisse angepasst, dass sie den Release-Zyklus des Anbieters nicht mehr einhalten konnten und auf neue Funktionen verzichten mussten. Bleibt man dagegen im Standard, können jederzeit problemlos neue Funktionen und Updates eingespielt werden. Im schlimmsten Fall fällt das aktuelle System sogar irgendwann aus der Wartung.
Ein weiteres Problem können Änderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation darstellen. Ändern sich Geschäftsprozesse im Unternehmen, so ist eine Anpassung über Customizing in der Regel viel einfacher und schneller zu realisieren als bei bestehendem, oft starrem Coding.
Bei dieser Diskussion entsteht ein Spannungsfeld zwischen IT-Abteilungen und Fachbereichen. Die IT fordert stabile, konsistente Systeme, die problemlos mit neuen Releases oder Feature Packs kompatibel sind. Fachbereiche hingegen möchten ihre Wettbewerbsvorteile sichern und setzen daher auf individuell programmierte Prozesse.
Die zentrale Frage: Wie können Unternehmen flexibel bleiben, ohne die Stabilität und Zukunftssicherheit ihres Systems zu gefährden?
Diese Zielkonflikte lassen sich nur durch einen klugen Ansatz lösen: „Keep the Core Clean“. Statt direkt im Kern des ERP-Systems zu programmieren, wird die individuelle Logik ausgelagert, um das System stabil und updatefähig zu halten.
Fachkräftemangel in der Logistik
Inhalt des E-Books
Wenn der Standard nicht mehr ausreicht: SAP Business Technology Plattform
Die SAP Business Technology Plattform (BTP) bietet eine revolutionäre Möglichkeit, diese Herausforderung zu meistern. Mit dem Konzept dieser Platform-as-a-Service können Unternehmen individuelle Anforderungen umsetzen, ohne den Kern des Systems zu verändern.
Die Logiken werden auf dieser Plattform programmiert und über APIs (Application Programming Interfaces) in das System integriert. Das ERP-System muss somit nur noch wissen, an welcher Stelle es eine Logik von der ausgelagerten Plattform ziehen muss.
Dieser Ansatz bietet nicht nur mehr Flexibilität, sondern auch eine erhöhte Stabilität. Während traditionelle Programmierungen im System selbst häufig zu Problemen bei Updates führen können, garantiert die SAP BTP langfristige Kompatibilität durch stabile Schnittstellen.
Das Ergebnis: Unternehmen können ihre spezifischen Anforderungen umsetzen, ohne die Updatefähigkeit des Systems zu beeinträchtigen.
So können beispielsweise neue Funktionen, wie sie etwa durch ein Feature Pack bereitgestellt werden, problemlos eingespielt werden, ohne dass es zu Konflikten mit bestehenden Anpassungen kommt. Da die spezifischen Logiken ausgelagert sind, bleibt der Kern des Systems unberührt. Dies reduziert den Aufwand für Tests und garantiert, dass Unternehmen die neuen Features schnell und ohne Komplikationen nutzen können.
Die fünf Säulen der SAP Business Technology Platform
Die SAP Business Technology Platform ist der Schlüssel, um Flexibilität und Stabilität miteinander zu vereinen. Während Standardprozesse direkt im SAP-System abgebildet werden, finden individuelle Erweiterungen ihren Platz auf der BTP. Die Grundlage dafür bilden fünf zentrale Säulen:
- Entwicklungsumgebung: Ermöglicht die Erstellung von Anwendungen und Logiken mit No-Code- und Low-Code-Tools sowie mit professionellen Entwicklungswerkzeugen.
- Automatisierung: Beschleunigt Prozesse und reduziert manuelle Eingriffe, beispielsweise durch Workflow-Tools und Robot Process Automation.
- Integration: Process-Integration-Tools ermöglichen die nahtlose Verbindung von Systemen, auch über Unternehmensgrenzen hinweg.
- Daten und Analysen: Unternehmen können Daten unabhängig vom ERP speichern und analysieren.
- Künstliche Intelligenz: KI unterstützt Unternehmen unter anderem bei der Muster- und Trendanalyse, um Entscheidungen datenbasiert zu treffen.
FIS/TimeSlot: Ein Beispiel für maßgeschneiderte Lösungen auf der SAP BTP
Ein gutes Beispiel für die Flexibilität der SAP BTP ist die Entwicklung der mobilen App FIS/TimeSlot. Viele Unternehmen benötigen einfache, effiziente Lösungen, um LKW-Zeitfenster für Lieferungen oder Abholungen zu organisieren. Während SAP-Standardlösungen wie das Dock Appointment Scheduling oft zu komplex und umfangreich sind, bietet FIS/TimeSlot eine kostengünstige und maßgeschneiderte Alternative.
Die App ermöglicht es Fahrern, über eine einfache Benutzeroberfläche ihre Zeitfenster zu buchen. Dies entlastet die Mitarbeiter des Unternehmens und hilft, Arbeitslasten besser zu verteilen. Die App wurde vollständig auf der SAP BTP entwickelt, sodass der Kern des ERP-Systems nicht verändert wird.
Fazit: Das Beste aus beiden Welten
„Das haben wir schon immer so gemacht“ muss nicht das Ende der Diskussion sein. Mit der richtigen Strategie lässt sich auch in einem modernen SAP-System Flexibilität bewahren. Der SAP-Standard bietet Stabilität und Upgradefähigkeit, während die BTP Unternehmen die Flexibilität gibt, ihre spezifischen Anforderungen umzusetzen.
Unternehmen, die diesen Weg gehen, verbinden das Beste aus beiden Welten: Sie bleiben flexibel, ohne Kompromisse bei Stabilität und Zukunftssicherheit einzugehen.